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Statement gegen Rückkehr zur Atomkraft - Reaktion auf Antrag der AfD vom 24. Juni 2021 -

Reaktion auf den Antrag der AfD „Kernenergie – na klar!", Plenarsitzung im Sächsischen Landtag, Donnerstag 24.06.2021

"Wenn man die Fenster seines Zuhauses geschlossen hält, dann kann man die Vögel draußen nicht mehr hören.

Nur mit verschlossenen Augen kann einem entgehen, dass wir mit dem neuerlichen Antrag der AfD Fraktion „Kernenergie – na klar!“ auf bereits ausgetretenen politischen Wegen unterwegs sind. Dem Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie, beschlossen im Jahr 2011, liegen Probleme in der Atomkrafttechnologie zu Grunde, die bis zum heutigen Tag nicht gelöst sind.

Nur mit verschlossenen (man könnte hier auch sagen: nur mit verbarrikadierten) Fenstern kann Ihnen, werte Abgeordnete der AfD Fraktion, entgehen, was wir gerade erst in dieser Woche wieder in der Presse von exakt diesen Problemen lesen:

Pressemitteilung, 21.06.2021, China, Taishan

„Probleme mit den Brennstäben im Atomkraftwerk Taishan (der Millionenstadt südlich von Hongkong). Die Behörde für nukleare Sicherheit teilt über den Kurznachrichtendienst Weibo mit, dass schätzungsweise 60.000 Brennstäbe beschädigt worden sind. Darüber hinaus befinden sich radioaktive Gase im Wasser.“

An dieser Stelle könnte sich meine Reaktion auf Ihren Antrag bereits von selbst erledigen. (…) Doch Sie haben ihrem Antrag ja noch einen Zusatz hinzugefügt: „Keine Experimente mit der Versorgungssicherheit“. Darauf lohnt es sich einzugehen.

Werte Vertreter und Vertreterinnen der AfD Fraktion, im Antrag formulieren Sie Ihren Wunsch nach Energieversorgungssicherheit. Ein wichtiger Punkt. Ich kann Ihnen garantieren: Energieversorgungssicherheit streben wir alle an! Ihr Antrag zur Beibehaltung der Kernenergie (in Sachsen) bewirkt jedoch exakt das Gegenteil und verursacht de facto eine enorme VerUNsicherung.

Ein 100% sauberer und klimaneutraler Energiemix lässt auf sich warten. Trotzdem gleichen die erneuerbaren Energien vorerst aus, was an Energiebedarf nach dem Ausstieg aus der Atomkraft und nach Abschaltung der Kohlekraftwerke besteht. Die Versorgungssicherheit unterliegt dem regelmäßigen Deutschland und EU-weiten Monitoring durch den Bund. Die Energieeffizienzstrategie 2050 stellt die Weichen für eine gestärkte Energieeffizienzpolitik. Sie leistet den deutschen Beitrag zur Erreichung des EU-Energieeffizienzziels (mindestens 32,5 Prozent weniger Primär- und Endenergieverbrauch bis 2030).

Als CDU Fraktion stellen wir der Energieversorgungssicherheit einen weiteren, entscheidenden Begriff der Energiepolitik zur Seite: den der Energieeffizienz! Während unser Energiebedarf kontinuierlich steigt, benötigen wir Einsparungen von Energie als Ausgleich. In Bund und Ländern legen wir alle Anstrengungen in die Energiewende im Gebäudebereich, in den Ausbau moderner Übertragungs- und Verteilungsnetzte, welche den Strom intelligent in Deutschland verteilen. Wir arbeiten an von Umlagen und Entgelten befreiten Energiespeichern und wollen den Verbraucher mit hoher Energietransparenz belohnen. Unsere Konzentration gehört der Debatte um Energie -Kapazitätsreserven, Sicherheitsbereitschaft und Netzreserven!

Ihre Vorgehensweise in der AfD, ihre sogenannte „Aufklärungsoffensive gegenüber den Sachsen“ ist in meinen Augen ein Akt der Fahrlässigkeit. Sie sprechen von Energie ohne CO2-Emissionen, von Wirtschaftlichkeit und von der Akzeptanz von Kernenergie in ihrer aktuellsten Imagekampagne. Sie vermeiden es jedoch komplett, die hohen Kosten zu erwähnen, welche mit dem Bau, der Instandhaltung, der Sicherheitstechnik und dem Rückbau von Kernkraftwerken sowie der nach wie vor völlig ungeklärten Form der Endlagerung radioaktiven Mülls und kontaminierten Wassers einhergehen. Kein Wort davon, dass auch neueste Kernenergieanlagen der Generation IV (wenn auch reduziert) weiterhin radioaktiven Atommüll in Form verstrahlter Robotikelemente hinterlassen. Keine dieser Anlagen, stabilisiert sich bei Störfallereignissen selbsttätig. Es sind Interventionen nötig, um die Nachverfallswärme (die Rückhaltung von Radioaktivität innerhalb der Anlagen) zu beherrschen. Und ja, Störfälle gibt und gäbe es (Gottlob) in Kernkraftwerken weniger häufig. Etwaige Folgen für Mensch und Natur sind allerdings ungleich schwerwiegender, wenn Störfälle eintreten. Natürlich ist mir bewusst, dass Experten wegdenken von der totalen Unfallverhütung hin zu einer viel einfacheren Folgenabschwächung. Aber lassen wir uns nicht täuschen! Vermeintlich billigerer Strom aus der Kernkraft kommt uns mit dem heutigen Stand der Technik in der Zukunft teuer zu stehen.

In ihrem Forderungskatalog im Sächsischen Landtag zielen Sie auf die Anwendung von Dual Fluid Reaktoren der Generation IV. Maßgeblich entwickelt und beworben in Amerika von Bill Gates. Erlauben Sie mir an dieser Stelle folgenden Einwand: In Bezug auf die Corona-Pandemie lehnen Sie diesen Mann kategorisch ab und kommunizieren seine vermeintliche Machenschaften: „Bill Gates! Corona! Impfzwang! Chipimplantate! Nein danke!“ (mit Videolink auf der Webseite der afdsachsen.de) Jetzt, in Bezug auf die Kernenergie rufen Sie nach ihm und seinen Neuentwicklungen: „Bill Gates! Laufwellenreaktor! Ja bitte!“ Immer wie Sie es gerade brauchen. Bill Gates ist als Microsoft-Begründer und Unternehmer ein Wegbereiter, der mit Hilfe seiner Beteiligung an diversen Forschungsprojekten und dank seiner Stiftung aus unterschiedlichen Perspektiven über den Tellerrand schaut. Ihre Politik in der AfD ist entgegen dieser Vielfältigkeit immer wieder überraschend eindimensional und geprägt von viel Schaum vorm Mund.

Kommen wir ruhig noch mal auf die Erforschung neuer Reaktortypen zurück. Selbst der Bau kleinerer Reaktoren neuen Typs verspricht noch keine finale Lösung hinsichtlich Energieversorgungssicherheit und globaler Anwendung. Nukleare Alternativen zu den Kernkraftwerken des gegenwärtig vorherrschenden Typus existierten schon von Anfang an. Pikant: Durchgesetzt haben sich die Meiler, die nur einen kleinen Teil ihres Brennstoffs nutzen und den Rest in strahlenden Abfall umwandeln und die mithilfe einer Kühlung daran gehindert werden müssen, durchzubrennen. Auch die amerikanische Neuauflage des „Miniaturreaktors“ besitzt Schwächen. In ihm wird es dermaßen heiß, dass er nur mit flüssigem Metall gekühlt werden kann. Weiterhin sind die in ihm eingesetzten Fluoridsalze bzw. Natrium in ihrer kerntechnischen Eignung seit Jahrzehnten umstritten. Natrium ist sehr korrosiv und reagiert extrem mit Luft oder Wasser. Einerseits gewollt, bleiben das Salz und andere Kühlmittel andererseits radioaktiv verseucht zurück. Das Grundproblem der Restmülllagerung bleibt ungelöst. Selbiger Müll und die große Frage seiner Sicherungsverwahrung lassen sich nicht wegzaubern. Entgegen der Annahme der AfD Fraktion stellt diese Hürde ein für Jahrhunderte bedeutsames SicherheitsRISIKO dar! Ich gehe sogar soweit, dass ich sage: die Endlagerung von Atommüll ist eine geologische, politische und ideologisch bislang ungelöste (Sicherheits-)Aufgabe.

Die saubere Kernenergie der Zukunft? Ich sehe sie (noch) nicht am Horizont. Teile der Realität auszublenden, gehört zum menschlichen Handeln dazu. Zu Politik sollte dieses Ausblenden keinesfalls gehören! In der Welt passieren Dinge, von denen wir künftige Generationen schützen wollen. Aus ganz zwingenden Gründen. Wir besitzen keine 2. Welt, auf die wir im Notfall zurückgreifen können.

Vorschlag: Erklären Sie, Herr Urban, den Menschen in Sachsen die Vorteile der Kernenergie. Erklären sie den Menschen gleichzeitig aber auch die schwerwiegenden Nachteile und die Hürden, die nach wie vor ungeklärt bleiben. Erklären Sie außerdem ihre Sicherheitsphilosophie in Bezug auf die von Ihnen gewünschten Atomkraftwerke in unserem Land. Befragen Sie repräsentativ viele Menschen zu ihrer Akzeptanz von Atomkraftwerken in der eigenen Nachbarschaft (in Sachsen / in der Lausitz / …) Auf welches Ergebnis werden Sie sich dann einstellen müssen?

Wir in der CDU machen Politik der Mehrheiten! Solang es keine Kernenergietechnik OHNE folgenschweren Atommüll und Sicherheitsrisiken gibt, gibt es auch keine Mehrheit in der Bevölkerung für diese Form der Energiegewinnung.

Deutschland tut gut daran, beim 2011 gesetzlich beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie zu bleiben. Es bleibt sinnvoll, nach vorn zu schauen und nach besseren Lösungen zu suchen. Wir sollten uns jede Zeit nehmen, um über den smarten, intelligenten Energiemix der Zukunft miteinander zu reden.

Wofür wir heute jedoch keineswegs an diesem Rednerpult stehen, ist, kalten Kaffee auf dem Niveau von Boulevardzeitschriften aufzuwärmen."