Rohwer Ukrainisches Kind

13. Mai 2022 - Thema deutscher Waffenlieferung für die Ukraine

Wir befinden uns in der 10. Woche des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Noch immer erleben die Menschen vor Ort brutale Aggressionen und müssen um ihr Leben fürchten.

In der letzten Sitzungswoche habe ich dargestellt, warum Deutschland sich aus der Bewältigung dieser Situation nicht heraushalten kann und aus meiner Sicht aktuell auch Waffenlieferungen notwendig sind. Bei der emotionalen Diskussion um eben diese Waffenlieferungen sind ein paar andere Aspekte zu kurz gekommen, die ich heute gerne aufgreifen möchte. Da das Thema so vielfältig ist, ist auch meine Beschreibung und Einschätzung etwas länger geraten. Ich glaube aber, dass diese Differenzierung wichtig ist und freue mich, wenn Sie es bis zum Ende des Textes schaffen.

Sicherheitsbedürfnis

Putins Krieg erschüttert das bisherige geopolitische Gefüge und Sicherheitsgefühl enorm und verändert es. In den Nachbarstaaten von Ukraine und Russland wächst berechtigterweise die Angst vor einem weiteren Übergriff. Deutschland unterstützt daher die Weiterentwicklung der europäischen Beziehungen zu Georgien und Moldau hin zu vollwertigen Mitgliedern der Europäischen Union. Im gleichen Zuge ist auch die potenzielle Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens in der NATO zu nennen. Beide Länder hatten seit jeher den neutralen Status für sich gewählt. Putin hat nun erreicht, dass sie diesen Weg verlassen. Nicht weil irgendein anderes Land Druck gemacht hätte, wie Russland beispielsweise der USA vorwirft, sondern weil das Sicherheitsgefühl beider Länder so enorm angegriffen ist. Gerade gestern (12.05.2022) hat sich die finnische Regierungschefin Sanna Marin gemeinsam mit dem als zurückhaltend geltenden finnischen Präsidenten Sauli Niinistö für einen „unverzüglichen“ Beitritt ihres Landes zum NATO-Verteidigungsbündnis ausgesprochen. Den schwedischen Beitrittswunsch halte ich ebenfalls nur noch für eine Frage der Zeit. Wie zu erwarten, wertet Russland diesen Schritt als eine Drohung gegen das eigene Land. Als alleiniger Aggressor in diesem Krieg scheint mir das sehr gewagt. Was anderes erwartet man, als dass sich Staaten in unmittelbarer Nähe eines Krieges verstärkt um die eigene Sicherheit bemühen. Ich begrüße deshalb diesen Schritt und ich freue mich, wenn es dann auch vertraglich so weit ist, über die neuen Bündnispartner, mit denen wir bereits innerhalb der Europäischen Union ein vertrauensvolles Verhältnis pflegen.

Der Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam mit der Ampel von Ende April hat vor allem durch den Beschluss von Waffenlieferungen enorme Aufmerksamkeit erhalten. Anhand der folgenden Punkte möchte ich aber exemplarisch zeigen, wie viel mehr Deutschland aktuell leistet und beitragen möchte

Rohwer Butscha


Verfolgung von Kriegsverbrechen

Internationale Medien berichten wiederholt von Kriegsverbrechen, die nach Rückzug russischer Truppen in den ukrainischen Städten und Ortschaften sichtbar werden. Diese Kriegsverbrechen müssen schnellstmöglich und umfassend dokumentiert und untersucht werden. Eine spezielle EU-Einheit unterstützt den Internationalen Strafgerichtshof und die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden in dieser Angelegenheit. Außerdem schließt sich die Bundesrepublik Deutschland der Klage der Ukraine gegen Russland vor dem Internationalen Gerichtshof an. So soll die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen, insbesondere der Einsatz sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe und weiterer Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewährleistet werden.

Humanitäre Hilfe

Mit dem Beginn des russischen Kriegs ist in Deutschland eine beeindruckende Welle der Hilfsbereitschaft losgerollt. Zahlreiche Hilfsorganisationen wie das DRK, THW und viele andere haben ihre Strukturen in Bewegung gesetzt und ihre haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter mobilisiert. Die Deutsche Bahn hat mit ihren Partnern über die Schienen-Brücke in die Ukraine den Transport von tausenden Tonnen Hilfsgütern aus der deutschen Wirtschaft ermöglicht. Gleichzeitig wird ein ganz großer Teil dieser Solidarität aber auch von Einzelpersonen und kleinen Vereinen aus der Zivilgesellschaft getragen. Auch aus dem Wahlkreis 160 sind Menschen mit Hilfstransporten Richtung Polen aufgebrochen und haben dringend benötigte Materialien an die polnisch-ukrainische Grenze und zum Teil sogar darüber hinaus gebracht. Diesen Menschen gilt für ihren persönlichen Einsatz ein ganz besonderer Dank!!

Für die tatsächliche Versorgung der Menschen mitten im Kriegsgeschehen ist ein sehr sensibles Auftreten notwendig. Einige Kreise werfen eine beiderseitige Kommunikation (mit ukrainischen und russischen Stellen) als verräterisch vor, besonders wenn sie von Organisationen wie dem Deutschen bzw. Internationalen Roten Kreuz verfolgt werden. Die angesprochenen NGO‘s positionieren sich jedoch ganz bewusst neutral. Sie handeln im Sinne der Menschlichkeit und die medizinische Versorgung von Menschen oder die Gewährleistung einer sicheren Evakuation hat immer Vorrang vor politischer Positionierung. Diese schwierige und mitunter gefährliche Aufgabe gebietet aus meiner Sicht den höchsten Respekt und transportiert auch ohne es explizit auszusprechen eine ganz bestimmte Haltung, die ich nur unterstützen kann.

Vertriebene in Deutschland

Mehr als fünf Millionen Menschen aus der Ukraine sind bereits ins Ausland geflohen. Über sieben Millionen sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Der Großteil möchte – verständlicherweise – in der Nähe der ukrainischen Heimat bleiben und verteilt sich so auf die angrenzenden Nachbarstaaten. Doch auch in Deutschland sind viele Vertriebene angekommen und kommen weiterhin bei uns an. Zwischen Ende Februar und Ende April 2022 wurden mehr als 610.000 Personen aus der Ukraine in Deutschland registriert und auch wenn der große Zustrom etwas abgenommen hat, wird das nicht das Ende sein. Für diese Menschen sollten wir gute Gastgeber sein! Viele Freiwillige und auch Hauptamtliche tun das von Beginn an aufopferungsvoll! Sie empfangen sie an den Bahnhöfen, verteilen Nahrungsmittel oder helfen bei den notwendigen Anträgen bei deutschen Behörden. Menschen haben ihre privaten Häuser und Wohnungen geöffnet. Der Krieg wird aber voraussichtlich noch eine Weile andauern und die Betreuung der Vertriebenen muss auch auf Dauer gewährleistet werden.

Es ist beeindruckend, dass das ukrainische Bildungsministerium seine Schülerinnen und Schüler aus der Ferne mit digitalem Unterricht versorgen kann. Wir wollen sie aber auch an unseren Schulen willkommen heißen und den Kindern und Jugendlichen damit ein Stück Normalität zurückgeben. Und hier müssen wir auch für die ukrainischen Erwachsenen ansetzen. Es ist wichtig, dass sie unkompliziert mit ihrer Ausbildung und Erfahrung auf den deutschen Arbeitsmarkt kommen. Ich bin dankbar, dass unsere Gesellschaft die ukrainischen Vertriebenen so empathisch empfängt. Bleiben wir dran und erhalten uns diese Offenheit!

Desinformation und russische Opposition

Die Macht von Bildern und Worten wird in diesen Tagen immer wieder deutlich. Gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union unterstützt Deutschland das Sendeverbot von russischen Propaganda-Kanälen sowie die Bestrebungen öffentlich-rechtlicher Medien wie der Deutschen Welle, Programminhalte in Russland und Belarus verfügbar zu machen. Es ist wichtig, dass sich die dortige Bevölkerung auch abseits der vorhandenen größtenteils staatlichen Kanäle informieren kann. Das führt nahtlos zu dem Punkt, dass russische Oppositionelle, Menschenrechtsverteidigerinnen und –Verteidiger und oppositionelle Journalistinnen und Journalisten EU-weit gültige Visa und Arbeitsgenehmigungen erhalten. Damit möchten Deutschland und die EU „das andere Russland“ stärken und ermöglichen, dass ihr Einsatz für ein freies und demokratisches Russland vom Exil aus gefördert wird. Diese Woche wurde beispielsweise bekannt, dass Maria Aljochina, die Sängerin der bekannten russischen Punk-Band Pussy Riot aus Russland geflohen ist und sich nun in Deutschland aufhält. Von hier möchte sie weiter gegen das russische Regime protestieren.

Diplomatische Bemühungen

Ein häufiger Vorwurf von Menschen, die die Waffenlieferungen ablehnen, lautet, Deutschland befördere damit eine Eskalation. Dem möchte ich entgegensetzen, dass mit den Waffenlieferungen keineswegs die diplomatischen Bemühungen eingestellt wurden. Es existiert weiterhin eine deutsche Botschaft in Moskau, die unverändert aktiv ist. Mit dem Besuch unserer Außenministerin Annalena Baerbock in Kiew wurde auch die Wiedereröffnung der dortigen deutschen Botschaft verkündet. Deutschland ist also in beiden Ländern diplomatisch vertreten und hält die Gesprächskanäle offen.

Ich möchte den Aspekt der gegenseitigen Gespräche aber noch eine Ebene höher heben. Ich denke, dass dieser Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Die Ukraine wird Russland – auch mit der Hilfe der internationalen Gemeinschaft von außen – militärisch voraussichtlich nicht besiegen können. Wir werden darauf angewiesen sein, dass ein oder mehrere Staaten eine Vermittlerrolle einnehmen. Die ersten Versuche wurden bereits unternommen. Hochrangige Politiker sind seit Beginn des Krieges mit Wladimir Putin im direkten Gespräch gewesen. Im Fall des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, des israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett oder Bundeskanzler Olaf Scholz waren das ausführliche Telefonate. Aber es gab auch bereits persönliche Besuche. „ Österreich als neutrales Land kann als ‚Brückenbauer‘ auftreten“, sagte der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer bevor er nach Moskau fuhr. Vorher hatte er bereits Kiew besucht und stand bezüglich der Reise im engen Austausch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und auch unserem Bundeskanzler. Ob das kleine Österreich die dafür notwendige Kraft ausstrahlen kann, sei dahingestellt. Aber der Versuch zählt. Es hilft uns nicht weiter, jeden zu verurteilen, der solcherlei Reisen unternimmt. Wir werden sie brauchen. Auch Papst Franziskus hat sich als Vermittler angeboten. Mit dem Moskauer (russisch-orthodoxen) Patriarchen Kyrill I., der den Angriffskrieg Putins unterstützt, hatte der Papst ein Videogespräch geführt. Bis zum heutigen Tag lässt der russische Präsident aber scheinbar jeden Gesprächsversuch an sich abprallen.

Dennoch dürfen wir unsere Bemühungen nicht zurückfahren, sondern müssen aktiv Friedensförderung betreiben. Ich bin der festen Überzeugung, dass es in der aktuellen Situation kein Widerspruch an sich ist, gleichzeitig Waffen zu liefern aber dennoch am Frieden zu arbeiten. Das christliche Menschenbild in unserer Partei ist dafür eine starke Grundlage. Auch ein russischer gefallener Soldat hinterlässt eine Familie in tiefer Traurigkeit. Wir trauern um die Opfer des Krieges, stehen fest auf der Seite des Rechts und der territorialen Selbstbestimmung und sind bereit Verantwortung zu übernehmen. Momentan sprechen die Waffen und es scheint keine andere Möglichkeit zu geben, als auf diese Weise zu antworten. Doch sobald sich das Zeitfenster öffnet, muss Deutschland mit all seiner diplomatischen Macht und Führungsstärke handeln! Deutschland ist die größte Wirtschaftsmacht in Europa und hat sich mit Angela Merkel ein außergewöhnliches internationales Standing erarbeitet. Hier muss die Bundesregierung anknüpfen und mit ihren Partnern, sei es in Europa, in der NATO oder über den Atlantik hinaus agieren.

Das Thema deutscher Waffenlieferungen für die Ukraine wurde und wird sehr kontrovers und emotional diskutiert.