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Wahlrechtsreform: Ampel-Vorschlag begünstigt Parteizentralen

Es ist die Art, nicht das Ziel

Es ist ein einzelner, gleichzeitig aber der wichtigste Punkt, in dem Einigkeit besteht. Der Bundestag ist zu groß. Das war es aber auch schon mit der Einigkeit. Es ist weithin bekannt, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Vorschlag der Ampel-Regierung nicht einverstanden war. Seitdem haben die Regierungsparteien immer wieder bekräftigt, dass sie einen breiten Konsens für ihre Wahlrechtsreform als wichtig empfinden. Und ja, es gab Gespräche zwischen Opposition und der Ampelkoalition. Nun heißt es, die Reform komme diese Woche noch in den Bundestag. (Auf der bisherigen Tagesordnung steht sie noch nicht.) Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen, meine Haltung zu erklären. Meine Ablehnung liegt explizit an der Art und Weise der angestrebten Verkleinerung des Deutschen Bundestages und nicht an dem prinzipiellen Ziel.

Die Ampel führt regelmäßig das Argument der Akzeptanz an. Auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sorgt sich um die Akzeptanz des Deutschen Bundestages inklusive seiner Abgeordneten in der Bevölkerung. In den Details unterscheiden wir uns dann aber umso mehr. Denn unsere Befürchtungen zur Akzeptanz hören nicht bei der generellen Größe des Parlaments auf, sondern bei der Zusammensetzung der Mandate.

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Das Direktmandat in der Wahlrechtsreform

Das größte Konfliktpotenzial liegt bekannter Weise im Umgang mit den bisherigen Direktmandaten, die durch die Erststimme vergeben werden. Direktmandate sollen laut Vorschlag der Ampel nicht mehr unmittelbar gewonnen, sondern nach dem sogenannten Hauptstimmenergebnis „zugeteilt“ werden. Wahlkreise, in denen der Wahlkreissieger nicht über die erforderliche „Hauptstimmendeckung“ verfügt, sind also nicht mehr durch einen Wahlkreiskandidaten im Bundestag vertreten. Das ist aus meiner Perspektive grundfalsch. Wer am Wahlabend die meisten Stimmen erhalten hat, muss auch im Parlament vertreten sein.

Man wird mit dem neuen Wahlrecht quasi ins Blaue hinein wählen müssen.

Lars Rohwer MdB
Wahlkreis2

Mein eigenes Ergebnis bei der Bundestagswahl 2021 ist das beste Beispiel. Aufgrund der damals bekannten Wahlprognosen habe ich als CDU-Kandidat viele Erststimmen von Bürgerinnen und Bürgern meines Wahlkreises erhalten, die normalerweise eine andere Partei gewählt hätten. Das haben sie in dem Wissen getan, damit einen AfD-Kandidaten als Wahlkreisabgeordneten zu verhindern. Egal welcher Partei man verbunden ist, muss man anerkennen, dass das ein wohl informierter Wahl-Akt mit deutlich erkennbarem Wählerwillen ist. Mit dem vorliegenden Entwurf der Ampel wäre eine solche Abwägung nicht mehr möglich. Man wird mit dem neuen Wahlrecht quasi ins Blaue hinein wählen müssen. 2020, noch vor der letzten Bundestagswahl, hat die AfD einen eigenen Vorschlag zur Wahlrechtsreform eingebracht. Der aktuelle Regierungsvorschlag ähnelt diesem sehr. Nun möchte ich keiner der Koalitionsparteien besondere Sympathien für die AfD vorwerfen. Für mich ist aber klar – Die AfD schlägt nichts vor, was ihr nichts nützt. Die sonst sehr aufmerksamen Koalitionsparteien scheint das in diesem Fall nicht zu stören.

Nicht der einzelne Abgeordnete mit seinem Engagement für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort wird in den Fokus gerückt, sondern die Partei-Geschäftsstellen mit ihren Landeslisten.

Lars Rohwer MdB

Damit ich nicht falsch verstanden werde, auch mit dem neuen System, welches die Ampelkoalition derzeit vorschlägt, wäre ich voraussichtlich Mitglied des Deutschen Bundestages. Aber mir geht es hier um ein grundsätzliches Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Bürgerstimme, was die Erststimme für mich ist. Wenn irgendein Algorithmus einer KI, den die Bürgerinnen und Bürger nicht kennen und der transparent nicht nachvollziehbar ist, bestimmt, wer im Parlament sitzt, geht das Vertrauen in Wahlen flöten. Man könnte es auch anders ausdrücken. Der jetzige Vorschlag begünstigt die Entscheidungen in den Parteizentralen. Der deutsche Parlamentarismus wird hier wieder einmal klein gemacht. Nicht der einzelne Abgeordnete mit seinem Engagement für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort wird in den Fokus gerückt, sondern die Partei-Geschäftsstellen mit ihren Landeslisten. Dabei gibt es doch vor allem gegenüber der Lebensnähe und dem Realismus in den Parteizentralen ein großes Misstrauen von vielen Menschen. Direkt gewählte Abgeordnete können vor den Themen im Wahlkreis nicht wegrennen. Wir direkt gewählte Wahlkreisabgeordnete müssen uns diesen stellen. Die FDP hat - bis auf eine einzige Ausnahme 1990 - noch nie ein Direktmandat im Bundestag gewonnen, auch aktuell gibt es keinen direkt gewählten Abgeordneten der FDP im Bundestag. Deshalb ist es leicht, über die Direktmandate so zu sprechen, wie es die Kollegen oft tun.

Für die FDP und Bündnis 90/DIE GRÜNEN, die sich beide seit jeher und an allen möglichen Stellen für direkte Demokratie einsetzen, muss sich dieser Vorschlag doch geradezu schizophren anfühlen!

Wir stehen zu dem obersten Ziel, den Bundestag zu verkleinern. Diese sind u.a. in der Bundestagsdrucksache 20/5353 nachzulesen. Ich werbe jedoch sehr dafür, den direkten Wählerwillen weiterhin mit dem Direktmandat abzubilden.


Edit: In der ursprünglichen Version des Textes hatte ich versehentlich das Direktmandat von Uwe Lühr (FDP) unterschlagen. Er hatte bei der Bundestagswahl 1990 im Wahlkreis Halle-Altstadt als bislang letzter FDP-Abgeordneter ein Direktmandat bei einer Bundestagswahl gewonnen.

Faktencheck zu Behauptungen von Ampel-Vertretern

Behauptung Fakt
1) Alle Fraktionen tragen gleichermaßen zur Verkleinerung des Bundestages bei. Das Ampel-Wahlrecht nutzt vor allem den Ampel-Parteien und schadet der Opposition. Die Abschaffung der Grundmandatsklausel richtet sich gezielt gegen Die Linke, die derzeit von der Grundmandatsklausel profitiert und nach dem Ampel-Wahlrecht voraussichtlich künftig nicht mehr im Bundestag vertreten sein wird. Die „Kappung“ von Wahlkreisen richtet sich zum einen gegen die Wähler, deren direkt gewählte Abgeordnete nun nicht mehr im Bundestag vertreten sind, und zum anderen gegen diejenigen Parteien, die besonders viele Direktmandate erringen – das sind CDU und CSU.
2) Mit der Erhöhung auf 630 Abgeordnete ist die Ampel auf CDU und CSU zugegangen. Die Ampel hat die Erhöhung auf 630 Abgeordnete aus Eigeninteresse vollzogen. Sie will damit Parlamentssitze für ihre eigenen Fraktionen sichern. Gleichzeitig hat die „Kappung“ von Direktmandaten einen klaren Adressaten: CDU und CSU. Legt man aktuelle Umfragewerte zugrunde, werden 18 Direktmandate von der CDU gekappt, 6 von der CSU, 2 von der SPD und 2 von der AfD.
3) Das Wahlgesetz der Ampel entspricht dem bayerischen Landeswahlgesetz. Das Ampel-Wahlrecht und das bayerische Landtagswahlrecht sind grundverschieden. Bei der bayerischen Landtagswahl werden Erst- und Zweistimme zusammengezählt. Aus der Zusammenrechnung ergibt sich die Sitzverteilung für den Landtag. Damit beeinflusst der Direktkandidat erheblich mit seinen persönlichen Stimmen den Gesamterfolg seiner Liste – anders als bei der Bundestagswahl, bei der die Stimmenzahl der Erststimme keinen Einfluss auf die Listenstimmen hat. Erst- und Zweistimme können somit in Bayern nicht separat betrachtet werden. Im Bund dagegen ist die Zweistimme entscheidend für die Sitzverteilung. Hinzu kommt: Das Wahlrecht der Ampel ist darauf ausgelegt, dass eine zweistellige Zahl an direktgewählten Abgeordneten nach jeder Bundestagswahl nicht in den Bundestag einzieht – bei der bayerischen Landtagswahl gab es das noch in keinem einzigen Fall.
4) CDU und CSU könnten in irgendeiner Form zusammengehen, um die Wirkung der 5%-Sperrklausel zu Lasten der CSU zu verhindern. Das ist falsch. CDU und CSU sind zwei eigenständige Parteien und „Listenvereinbarungen“ zur Überwindung der 5%-Sperrklausel sind zwischen verschiedenen Parteien nicht möglich. Das Bundeswahlgesetz verbietet das. Dieses Verbot einer Listenverbindung oder Listenvereinigung gilt auch weiterhin unter dem Ampel-Wahlrecht.