Nowak Lars Rohwer 10

"Das Leben ist so viel wert. Wie können wir helfen?"

Kleiner Hinweis vorab

... wenn Sie Suizidgedanken haben oder sich in einem scheinbar nicht zu bewältigenden Tief befinden:
Das Dresdner Krisentelefon ist ein telefonisches Hilfsangebot für Menschen in seelischer Not. Als ergänzendes Angebot gehört es zum Psychosozialen Krisendienst unserer Stadt. Das Team aus Fachkräften ist an allen Tagen des Jahres, auch an Sonn- und Feiertagen erreichbar. > Täglich von 17 bis 23 Uhr unter 0351-8041616 (zum Ortstarif)

Im Gespräch mit Thilo Alexe

Herr Rohwer, warum befassen Sie sich als sächsischer Bundestagsabgeordneter mit dem Thema Suizid?

In Sachsen ist die Suizidrate deutschlandweit am höchsten, seit vielen Jahren. Das muss uns unbedingt in der Politik beschäftigen. Das Zweite ist eine persönliche Erfahrung. Meine Eltern waren geschieden, und ich habe lange Zeit keinen Kontakt mit meinem Vater gehabt. Aber 1993 kam die Nachricht, dass er sich suizidiert hat, und seitdem ist das auch Teil meiner Geschichte. Also auch wenn ich fast keinen Kontakt hatte, ist es etwas, was einen beschäftigt. Es war ja mein Vater. Und aus vielen wissenschaftlichen Forschungen wissen wir, dass, wenn Menschen über Suizidgedanken sprechen, sie also mit anderen in die Interaktion treten, die Chance besteht, einen Suizid zu verhindern es dann in der Regel nicht dazu kommt. Im Gespräch findet man eben miteinander Wege, um wieder eine Perspektive für das Leben zu sehen.

Rohwer Cdu Csu

Im Jahr 2022 sind mehr als 10.000 Menschen in Deutschland durch Suizid gestorben. Langfristig sind die Zahlen rückläufig, im Vergleich zu 2021 ist das aber ein deutlicher Anstieg. Sie fordern ein Gesetz zur Suizidprävention. Was kann das leisten?

Der Auftrag, aus dem Bundestag, adressiert an die Bundesregierung, ist es, ein Gesetz zum Thema Suizidprävention vorzulegen. Dieses Vorhaben ist sehr kompliziert. Wir müssen in viele Gesetze eingreifen. Um Suizidprävention gleichzeitig umfassend aber auch zielgerichtet durchzuführen, brauchen wir mehr Informationen. Wo finden regional verstärkt Suizidversuche statt? Ist dem Rettungsdienst etwas ausgefallen? Das heißt nicht, dass wir dann Menschen damit konfrontieren müssen. Aber wir wissen, wo es eine Konzentration von Suizidversuchen gibt und können auf diesen lokalen Herd mit Prävention reagieren. Dazu brauchen wir Datenfreiheit, damit wir diese Daten eben entsprechend anonymisiert nutzen dürfen. Für mich geht Lebensschutz vor Datenschutz.

Aber wie kann das Prävention stärken?

Ein Vergleich: Wir behandeln im Gesundheitssystem vorrangig diejenigen, die krank sind. Aber wir tun in der Gesundheitsprävention erst mal alles dafür, dass wir gar nicht erst krank werden. Das ist bei der Suizidprävention genauso ähnlich zu sehen, nämlich dass wir gar nicht erst in die Situation kommen, dass Suizide wirklich ausgeführt werden. Wir benötigen eine gesellschaftliche Atmosphäre der Offenheit, über Suizidgedanken sprechen zu können. Gemeinsam wird man immer Wege sehen und finden. Die Frage, die uns leiten sollte, ist: Das Leben ist soviel wert, wie können wir helfen? Das Zweite, was notwendig ist: Wir müssen einen Lehrstuhl einrichten, denn wir wissen viel zu wenig, was in Menschen passiert, die sich in einer suizidalen Krise das Leben nehmen. Es gibt bisher in ganz Deutschland keine Professur für Suizidprävention. Dritter Punkt: Ich habe Kinder im Teenageralter. Aus deren Erzählungen weiß ich, dass das Thema Suizid auch in dieser Altersgruppe schon präsent ist. Auch das sollten wir ernst nehmen.

Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2022 sagt, die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, dabei Hilfe zu suchen. Wie stehen Sie zu assistiertem Suizid?

Wir brauchen dafür eine rechtlich verbindliche Regelung. Wir wissen ja, dass er stattfindet. Es gibt leider Menschen, die unterwegs sind, die anderen den assistierten Suizid anbieten. Und das ist für mich eine unhaltbare Situation. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich nicht gesagt, ihr müsst das einfach geschehen lassen. Sondern das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, es soll für Menschen einen selbstbestimmten rechtlich eng gesteckten Weg geben, den der Bundestag gesetzlich schaffen muss. Das fällt mir als Christ absolut schwer, weil ich natürlich immer irgendwie für das Leben stehe mit meinem eigenen Glauben.

Erklären Sie das bitte.

Ich möchte, dass Menschen nach Trennungen oder in der Arbeitslosigkeit und mit Schulden nicht diesen Weg in den – womöglich auch assistierten – Suizid gehen. Sondern dass sie wissen, es gibt andere Wege, wodurch sie wieder das Leben sehen, und genau auf diesem Weg bekommen sie Hilfe. Ich weiß aber auch, dass uns das Karlsruher Gericht diesen Auftrag gegeben hat, etwa für jemanden, der lang unheilbar krank ist, selbstbestimmt aus dem Leben gehen zu können. Das ist ein schmaler Grat. Im Vorjahr sind zwei Gesetzentwürfe dazu im Bundestag gescheitert. Umso mehr brauchen wir eine Regelung.

Woher wissen Sie von den assistierten Suiziden?

Wir wissen aus dem Rettungsdienst, dass die Teams zu Fällen gerufen werden, wo alles aufgeräumt ist und die Menschen friedlich tot im Bett liegen. Bei plötzlichem natürlichen Tod ist es in der Regel nicht aufgeräumt im privaten Umfeld, man stand ja grad noch mitten im Leben. Und wenn es dann keine Obduktion gibt, bleibt der Verdacht zurück, war es ein assistierter Suizid? Eine schwierige Situation. Alles deutet darauf hin, dass diese Suizide hier stattfinden in unserem Land. Und das kann ich nicht gutheißen. Wir müssen einen legalen Weg finden. Wir brauchen mehr Prävention. Diese beiden Wege möchte ich gehen.

Apropos Prävention. Wer leistet die?

Großteils Ehrenamtliche, aber natürlich auch Angebote wie psychosoziale Krisendienste, zu denen sie vom Arzt überwiesen werden können. Es gibt weitere niedrigschwellige Beratungen wie etwa die Telefonseelsorge. Und es gibt das Projekt U25 unter dem Dach der Caritas, wo junge Menschen andere online beraten. Doch für so etwas bricht gerade die Förderung weg. Ein Gesetz könnte das verhindern.

Gibt es eine einheitliche Hilfsnummer?

Leider nicht. Aber es sollte – so wie die 110 – eine geben. Wo man weiß: Da kann ich anrufen. Und da ist jemand am Telefon, der Zeit hat und dafür ausgebildet ist. Das Gespräch ist in krisenhaften Momenten das Wichtigste. Wir wissen von Menschen, die Suizidversuche überlebt haben und darüber froh waren. Sie wussten eben nicht, wo sie sich in der suizidalen Krise hinwenden können. Das darf so nicht bleiben. Jedes Leben, das wir retten, ist auch eine Hilfe für unsere Gesellschaft. Menschen reflektieren, machen weiter, wenden sich wieder dem Leben zu. Das ist gut. Ich kenne die Geschichte einer schwer kranken Frau, die Suizidgedanken hatte und mit Hilfe ihrer Familie davon abkam. Sie hat noch ihr Enkelkind gesehen. Das Foto der Frau mit dem Baby – es ist unbezahlbar und gibt der Familie viel Kraft.